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Die Heilungsbewegung in Deutschland
Die führende Gestalt der Heilungsbewegung in Deutschland war der Rasierklingenfabrikant Hermann Zaiss in Solingen-Ohligs, ein originaler Kopf und geistlich vollmächtiger Mann. Am 3. September 1889 in Untertürkheim geboren, wurde er durch den christlichen Schmied Christian Stürmer, “Halleluja-Schmied” genannt, schon im Knabenalter bekehrt. Vor dein Ersten Weltkrieg war er als Basler Missionskaufmann auf der Goldküste tätig und entwickelte bereits damals einen starken Drang zum Evangelisieren. In der englischen Kriegsgefangenschaft, wie schon zuvor, erlebte er wunderbare Heilungen und evangelisierte unter den Mitgefangenen. Nach der Rückkehr in die Heimat schlug er einen eigenartigen Weg ein. Nach seinem eigenen Bericht beging er damals einen großen Fehler: “Ich schaute auf Brüder und Schwestern. Da sah ich Fehler, nichts als Fehler, frommes Gerede und Getue. Das stieß mich so sehr ab, daß ich bewußt von Gott fortging. Ich hatte mir vorgenommen, 20 Jahre lang nicht mehr zu beten, keine Bibel zu lesen, mich von jeder Gemeinschaft fern zu halten. Das habe ich durchgeführt. Ich sagte zu Gott: “Wenn du lebst und ein Interesse an mir hast und deine Liebe zu mir so groß ist , dann hole mich nach 20 Jahren wieder.” Das war 1924. Ein Jahr zuvor war, durch Verschulden seiner Frau, seine Ehe geschieden worden. Er fing dann ein Rasierklingengeschäft an, das er zu hohem Ansehen brachte, und schloß 1932 eine zweite Ehe. Als am 22. Juli 1944 die 20 Jahre um waren, kniete er mit seiner Frau in der zerbombten Kirche von Ohligs nieder: “Herr, wenn du uns wieder haben willst, hier sind wir!”, und erhielt von Gott “einen klaren Auftrag, das Evangelium Jesu Christi radikal ohne irgendeine Bindung an irgendeinen Menschen, eine Kirche oder eine Gemeinschaft zu verkündigen”.
Seine Evangelisationstätigkeit begann er zunächst ganz klein in Häusern und Verkehrsmitteln, auf Straßen und Plätzen, später in einer Baracke. Seine Redeweise, die ebenso “saftig schwäbisch” wie zentral, kraftvoll und anpackend war, zog rasch eine wachsende Zuhörerschaft an. Die Gewonnenen sammelten sich in Kreisen. Man betete und fastete, lebte in einer inbrünstigen Erwarung der Wiederkunft und nahm alle von Christus verheißenen Gaben und Vollmachten ernst, vor allem auch die Vollmacht, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben. Zunächst kam es zu Einzelheilungen. Dann ereigneten sich während einer Evangelisation plötzlich Massenheilungen. Das erregte Aufsehen und verstärkte den Zulauf. Es kam zu vielstündigen Massenversammlungen mit dramatischem Verlauf.
Aus allen Teilen Deutschlands, auch aus dem Ausland, reisten Mensdien nach Ohligs. Zaiss wurde zum rastlosen Wanderprediger, der auch zahlreiche Fahrten ins Ausland machte: nach Holland, Dänemark, Österreich, in die Schweiz, nach Frankreich‘ selbst nach Nordamerika und Indien.
Die Anhängerkreise sind in der ”Gemeinde der Christen Ecclesia” gesammelt. Sie vertritt nach ihrer Satzung “ein ganzes, totales Evangelium, frei von starren Formen, und ist gewiß, daß Christus den ganzen Menschen nach Leib, Seele und Geist auf Golgatha erlöst hat. Durch Männer voll des heiligen Geistes in Wahrheit und Kraft verkündigt, ist das Evangelium von mitfolgenden Zeichen und Wundern begleitet.” Die Kindertaufe wird verworfen, denn “Buße und Glauben können auf Grund des Wortes Gottes einer Taufe nicht folgen, sondern müssen die Voraussetzung sein”. Vor der Taufe “in des Herrn Tod” legt der Täufling im Angesicht der Gemeinde ein Zeugnis ab. “Von diesem Zeugnis hängt es ab, ob der Täufling zugelassen wird oder ob er mit einer Zurückstellung rechnen muß.” Einer langen Voranmeldung zur Taufe oder eines Taufunterrichts bedarf es nicht. Zum Abendmahl wird nur zugelassen, wer die Glaubensgrundsätze der “Ecclesia” bejaht. Es werden auch Trauungen vorgenommen. Im übrigen will die ,Ecclesia‘ nicht eine abgesonderte Heilsgemelilde sein, verlangt auch keinen Kirchenaustritt, sondern sucht die “göttliche Allianz” mit den Gliedern aller Gemeinschaften, sofern sie auf dem Boden der biblischen Grundwahrheiten stehen.
Das geistliche Zentrum der “Ecclesia” ist Ohligs, wo jeden Dienstagabend Gebetsstunden “für Mühselige und Beladene” gehalten werden. Es wird von zahlreichen Fernheilungen berichtet. Daneben sieht die “Ecclesia” ihren besonderen Auftrag in der Evangelisation. Im Jahre 1956 wollte Zaiss 700.000 bis 1.000.000 Menschen mit seinen Versammlungen erreicht haben. Die “Ecclesia” wuchs von 28 Ortsgemeinden 1951 auf über 300 im Jahr 1958 an. Zur Rüstung der fast 200 dienenden Brüder sowie zur Abhaltung von Bibelkursen und Konferenzen wurde in Ohligs aus freien Opfergaben eine große Versammlungsstätte gebaut, die 1958 eingeweiht wurde und bis zu 1200 Menschen aufnehmen kann.
Damit war nun freilich auch der Höhepunkt der “Ecclesia” erreicht. Am 14. November 1958 verunglückte Hermann Zaiss bei einem Verkehrsunfall. Sein Tod bedeutete einen unersetzlichen Verlust. Zwar führte seine Witwe Clara, unterstützt von einigen Evangelisten, das Werk fort. Aber es fehlte der Nimbus seiner Person. Die Zeit der Massenversammlungen war dahin. 1965 wurden nur noch 153 Versanimlungsplätze in der Bundesrepublik und Westberlin, 7 in Österreich und 6 in der Schweiz registriert. In Stuttgart besteht ein Missionshaus (1966), in Rieden (Schweiz) ein “Ecclesia-Heim”.; in Gunten wurde 1967 eine “Bibeischule Ecclesia”. und am Millstätter See das Gemeindezentrum “Tannenheim”. eröffnet. Die Ansprachen von H. Zaiss werden in Schriften und Tonbändern verbreitet. So sucht man sein geistliches Erbe zu wahren. Seine Verkündigung wies eine größere Tiefe auf als die der amerikanischen Heilungsevangelisten. Sie betonte die Wahrheiten der Reformation mit großer Eindringlichkeit. Aber daneben standen unverbunden auch unnüchterne Züge- so die breit ausgemalten apokalyptischen Vorstellungen, vor allem aber die Heilungslehre, in der Zaiss die üblichen Grundgedanken der Heilungsbewegung vertrat: Krankheit ist die Folge der Sünde; wer glaubt und sich bekehrt, wird geheilt; wer nicht geheilt oder wieder rückfallig wird, ist auch glaubensmäßig nicht in Ordnung.
Außer Zaiss hat Deutschland keinen weiteren Heilungsevangelisten von Format hervorgebracht. Um so größer war der Anreiz für amerikanische Heilungsprediger, in Deutschland zu evangelisieren. Vor allem Branbam und Hides kamen zu Evangelisationskampagnen nach Deutschland und in die Schweiz; es wutden dafür eigens Komitees gebildet, deren führender Initiator Erwin Miiller, Leiter der >Gemeinschaft Entschiedener Christen< in Karlsruhe war. Auch das 1927 von Albert Goetz gegründete Blatt >Mehr Licht!. stellte sich in den Dienst der Heilungsbewegung.
Aus: Die Heilungsbewegung in Deutschland, S.570-572 Bildquelle: Ecclesia
6.1.2004
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